Und dann bestieg sie das Schiff.
Sie drehte sich nicht um. Eine Tasche trug sie bei sich, kaum sichtbar, verpackt wie sie selbst. Es sah ihr niemand nach.
Die Silben machten La La La. Silberne Silben, die so von innen gegen ihren Mund schwappten und zur Stirn hochspritzten. Das kitzelte. Deshalb öffnete Sie ihren Mund und sang La La La.
Olaf Condor - 27. Feb, 11:17
Alles, was sie tat löste in mir sanfte Wogen von Schmerz aus: Ihre Hand an der Kurbel, dass sie die frische Luft so gierig einatmete, das Rascheln ihrer Kleider und der grüne Blick in meinem Rücken. Was mir aber mitten ins Mark schnitt, war d e r Gesang. Der Schweiß lag in Perlen auf meiner Stirn. Gleich da! Schon brachte ich den Wagen zum Stehen.
Valivarius - 27. Feb, 11:14
Sie ließ die Stadt an sich vorbei ziehen. Im Regen Taxifahren, das hatte sie schon immer geliebt, sich Taxis leisten zu können auch. Sie kurbelte das Fenster runter, Regentropfen flogen ihr in die Augen, sie konnte den Hafen schon riechen.
Anna Häusler - 27. Feb, 11:11
Wie hätte sie ihm aber auch erklären k ö n n e n, wie ihm allein die Einladung erklären können, die Reise erklären können? Daß sie zugesagt hatte, war ihr selbst nicht leicht gewesen. "Lucky looser", sang sie wieder. Was kam? Was lockte? Es würde eine Fahrt, wußte sie, in eine völlig Entscheidungslosigkeit. Sie würde lange, sehr lange schlafen, wußte sie. Die Tragweite der Entdeckung war ihr schon zu Studienzeiten bewußt gewesen. Aber daß man sie auswählen würde, das nicht. Sie hatten darüber gescherzt, er und sie, oft, manchmal lange, doch wenn sie ehrlich war, dann hatte sie an eine solche Möglichkeit, an dieses Unbedingte, so wenig geglaubt wie er.
Sie hatte seinen Blick, als sie mein Taxi bestieg. Auch da sah sie sich schon nicht mehr um. Über mich, der ich es fuhr, ging eine Trauer, die ich mir gar nicht erklären konnte, die ich auch erst gar nicht als eine solche begriff. Dabei hatte sie strahlend grüne Augen. Strahlende Trauer, ich bitte Sie! Heute, da wir alle ihr Gesicht kennen, weil es in den Geräten fast jeden Abend für zehn Minuten sichtbar ist, weil sie berühmt ist unterdessen, - heute empfinden wir das nicht mehr so. Ich glaube, daß ich der letzte Mensch gewesen bin, der sie jemals als einen Menschen sah. Deshalb habe ich begonnen, sie zu vergessen. Sie, von der wir heute sprechen, ist eine andere, als die, die, als sie in mein Taxi stieg, gewesen ist.
Die Furcht des Menschen sich zu verlieren, ist etwas wie eine Ur-Angst. Vielleicht wagen wir deshalb weniger, als uns möglich ist.
Wäre mir nicht passiert, was mir passiert ist, - vielleicht hätte ich mich ebenso diesem lauen Handeln und Denken angeschlossen.
Seit ich knapp dem Tod entronnen war, gab es für mich nur noch diese eine Richtung, dieses eine Ziel, eine Möglichkeit: Dem zu folgen, das mir Leben versprach.
Und dann traf ich ihn. Er erkannte mich nicht. Weder im Außen, noch im Innen. Aber das machte nichts. Es hatte keinen Einfluß auf mein Handeln. Ich war frei, fühlte mich frei und verlor keine Zeit mehr. Ich ging direkt und angstfrei auf ihn zu. Er ahnte nicht, was nun passieren würde. Ich ebenso wenig. Aber es würde etwas Wichtiges passieren, dessen war ich mir sicher.
So erinnerte ich mich: Zwanghaft, in überzogenen Bildern, schwarz-weiß, wie an einen alten Film. Der Mann, an den ich mich, in meinem Taxi sitzend erinnerte war jünger und ich war es ihm gleich. Die ganze Sache lag schon Jahre zurück. Und doch kam diese Erinnerung in der Einsamkeit des Taxistandes wieder hoch.
Nicht jedes Mal, wenn ich hier oder anderwo stand und auf eine Durchsage im Funk oder zusteigende Gäste wartete, aber es wäre falsch gewesen, von ihr zu behaupten, sie sei ein seltener Gast.
Voll Angst war ich gewesen - damals. Voll Angst vor sich häufenden Verlusten. Vor dem Verlust meiner selbst wog die Angst am schwersten, lastete auf mir und hatte, trotz der Erlebnisse, nie aufgehört auf mir zu lasten, wie ein - nunmehr - gelindes Gewicht aus nasser Erde.
LeanderSukov - 27. Feb, 06:00
Die Pflanzendämmerung, immer wieder das umgekehrte Gewächshaus. Dreimal getroffen. Dreimal.
Dieses umgekehrte Gewächshaus war so dunkel, dass in ihm auch tagsüber eine Glühbirne leuchtete. Sein Glasbau, von außen mit knorrigem Wildwein völlig zugewachsen. An einigen Stellen die Scheiben von der wachsenden Last bereits eingedrückt.
Wie er mit mir spricht. Ich höre ihn. Er geht unter der Glühlampe darin herum, ich höre die Scherben unter seinen Füßen knischen, während er auf mich einredet. Ich höre immer noch, wie er umherläuft auf dem alten Glas. Ich sitze auf dem Stuhl, er simuliert einen sportlichen Plauderton, aber ich spüre, dass er mich eigentlich anfleht, weil ihm die Scheiße bis zum Hals steht. Im umgekehrten Gewächshaus. Er hat eine Hand in der Hosentasche, um Lässigkeit bemüht, aber ich weiß, dass ihm die Scheiße bis zum Hals steht. Und genieße es. Ich weiß, dass er hier die Pläne aufbewahrt, die er mir so dringend geben will, geben muss, damit ich sie an Juli und ihre Arbeitsgruppe weiterleite. Aber er muss sicher sein, dass ich auf seiner Seite bin. Wie er mich im Knirschgang über den alten Scherben auf meinem Stuhl umrundet. Beim letzten, dem dritten Treffen. Ich habe es gewittert. Er musste sicher sein. Aber er ist nicht sicher, und ich tue nichts, ihm Vertrauen zu vermitteln. Ich hatte Gründe, ihn zappeln zu lassen. Sehr sehr dumme Gründe.
Ich weiß es, dort, in einem Schrank, muss er die Pläne aufbewahrt haben, die er mir geben wollte. Die Protokolle.
Er hat sie mir nicht gegeben. Nach dem dritten Gespräch hatte ich gehofft, er würde sich noch einmal bei mir melden, als mir klar geworden war, warum er mich brauchte, aber er hatte sich nicht mehr gemeldet. Es war mein Fehler. Solche Fehler kommen vor. Mein verdammter Fehler. Dort.
Olaf Condor - 27. Feb, 05:41
Lucky Loser, Lucky Loser. Werde ich diese Stimme je wieder los? Lullabee. Lange, lange ist das her. Luckyla Loser.
"Bitte! Schalten Sie das Radio aus."
Irgendwo musste er die Papiere versteckt haben. Ich durchschritt die Wohnung, Zimmer für Zimmer, hob Teller an, Teppiche, Sofakissen, öffnete Dosen, durchblätterte Bücher und Zeitschriften. Nichts. Im Bad befühlte ich Ober-und Rückseite des Schranks, schob Handtücher und Rasierzeug zur Seite, löste den Deckel des Wasserkastens der Toilette. Auch dort war nichts zu finden.
Im Arbeitszimmer drehte ich den rostigen Schreibtischschlüssel nach links und die Tür sprang auf. In den Schubladen war alles sortiert, mein Glück. Er würde vorerst nicht heimkommen. Ich hatte Zeit. Ins Gewächshaus wollte ich zuletzt gehen.